Plattform 08:

14. Dezember 2004, Gewerblich-Industrielles Berufszentrum (Aula)

Thema: Mit dem Gesetz gegen Rassismus? 10 Jahre Antirassismusgesetz – eine Diskussion

Eine Veranstaltung des Vereins Integrationsnetz Zug zum Menschenrechtstag 2004

Begrüssung: Anusooya Sivaganesan, Verein Integrationsnetz Zug
Einleitung: Hanspeter Uster, Vorsteher Sicherheitsdirektion Kanton Zug
Moderation: Gisela Hürlimann, Verein Integrationsnetz Zug

Auf dem Podium:
Marcel A. Niggli, Lehrstuhlinhaber für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Freiburg/Fribourg
Doris Angst, Leiterin des Sekretariats der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR)
Jürg Scherrer, Vorsteher Sicherheits-, Energie- und Verkehrsdirektion Stadt Biel und alt Nationalrat, Freiheitspartei
Ulrich Siegrist, Jurist, Nationalrat SVP, Präsident, parlamentarische Gruppe gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
Lathan Suntharalingam, Grossstadtrat SP Luzern

Zur Einführung: TV-Sendung ›Rundschau‹ vom 14.9.2004 zur Antirassismus-Abstimmung von 1994.

Am 25. September 1994 stimmte eine relativ knappe Mehrheit der schweizerischen Bevölkerung dem Antirassismus-Artikel zu. In der Zentralschweiz sagten nur die Kantone Zug und Obwalden ja. Zehn Jahre nach dieser sehr emotionalen Referendumsabstimmung fällt die Bilanz durchzogen aus: Für einige hat sich der neue Artikel 261bis im Strafgesetzbuch bewährt, weil heute z.B. niemand mehr ungestraft den Holocaust an den Juden im Zweiten Weltkrieg leugnen kann. Für andere bedroht das Gesetz direktdemokratische Einbürgerungsverfahren und die Meinungsfreiheit. Sie wollen es deswegen ändern oder streichen. Auch an seiner 8. öffentlichen Diskussionsplattform setzte das Integrationsnetz Zug seine Tradition fort, ExpertInnen und ExponentInnen aus der ganzen Schweiz nach Zug einzuladen. Zehn Jahre nach der hoch emotionalen Abstimmung und aufgrund von aktuellen Versuchen, das Gesetz zu ändern, diente die vom Integrationsnetz Zug organisierte Veranstaltung, eine kritische Bilanz zu Entstehung und Wirkung des ARG zu ziehen.

Ablauf der Veranstaltung
Mit Professor Marcel A. Niggli, Lehrstuhlinhaber für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Freiburg/Fribourg, Gutachter in Sachen ARG und mit Doris Angst, Leiterin des Sekretariats der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) konnten zwei ausgewiesene Fachleute und Kenner der Strafnorm für die Veranstaltung gewonnen werden. Der Freiheitspartei-Politiker Jürg Scherrer, Stadtrat in Biel und alt Nationalrat, ein prononcierter Gegner des Antirassismus-Gesetzes vertrat die Gegenseite an der Diskussion. Scherrer hatte 1994 das Referendum gegen das ARG unterstützt und wurde wiederholt wegen Verstosses gegen das ARG angeklagt, letztinstanzlich jedoch stets frei gesprochen. Angesichts der Kritik eines Teils der SVP an der Rassismus-Strafnorm durfte man gespannt sein, wie der Aargauer SVP-Nationalrat und Jurist Ulrich Siegrist, Präsident der parlamentarischen Gruppe gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, die gegenwärtige Diskussion um eine Gesetzesrevision beurteilen würde. Schliesslich nahm mit dem Luzerner SP-Grossstadtrat Lathan Suntharalingam ein Politiker am Podium teil, der sich in diversen interkulturell-antirassistischen Projekten engagiert und in jüngster Zeit mehrfach gegen die Verharmlosung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit Stellung genommen hatte. SGA-Regierungsrat Hanspeter Uster kam die Aufgabe zu, die Diskussion mit einigen Thesen zu eröffnen. Anusooya Sivaganesan, Schülerin am Zuger Gymnasium und Mitglied des Integrationsnetz-Vorstands, führte durch den Abend, und Gisela Hürlimann, Historikerin und Mitglied des Integrationsnetz-Vorstands, moderierte die Diskussion.

Den Auftakt in die dreistündige Veranstaltung bildete ein Ausschnitt der TV-Sendung ‹Rundschau‹ vom 14.9.2004 zur damals bevorstehenden Abstimmung über das Antirassismus-Gesetz. Die Sendung erinnerte auch an eine bislang beispiellose, mehrere Todesopfer fordernde Gewaltwelle gegen Asylsuchende in den späten 1980ern und frühen 1990er Jahren. Nach einer ausgiebigen und kontroversen Debatte auf dem Podium nahmen verschiedene VotantInnen aus dem Publikum die Gelegenheit wahr, Fragen zu stellen oder ihre Meinung kund zu tun. Dabei zeigte sich, dass die Trennung, welche die beiden Juristen auf dem Podium (Niggli und Siegrist) zwischen der Ausländer- und Asylpolitik einerseits und dem Antirassismus-Gesetz anderseits gezogen hatten, nicht der Wahrnehmung der Mehrheit des Publikums entsprach. Im Gegenteil: ausländer- und asylpolitische Debatten wurden sowohl von Gegnern (Scherrer) wie von BefürworterInnen des Gesetzes in einen engen Zusammenhang mit Rassismus und Antirassismus gebracht. So wurde unter anderem mehrmals auf die Abstimmungskampagne gegen die Einbürgerungsvorlagen (Muslim-Inserate) hingewiesen.

›Mit dem Gesetz gegen Rassismus?‹ Die bewusste Fragestellung im Titel der Veranstaltung erwies sich trotz der sehr breit und detailliert geführten Diskussion als programmatisch, und mehrere RednerInnen aus dem Publikum wollten sich nicht damit abfinden, dass viele Spielarten von Rassismus und fremdenfeindlicher Diskriminierung im privaten, geschäftlichen und politischen Alltag gesetzlich nach wie vor kaum geahndet werden können. Unbestritten war, dass das ARG die Äusserungs- und Versammlungsmöglichkeiten von Rechtsextremisten, Holocaust-Leugnern und AntisemitInnen eingeschränkt hatte oder zumindest mässigend auf sie einwirkte. Angesichts der aktuellen politischen und verfassungsrechtlichen Debatte um die Zulässigkeit des Verzichts auf Nothilfe für abgewiesene Asylsuchende und angesichts der sprachlichen Diffamierung von AusländerInnen oder Asylsuchenden im politischen Abstimmungsjargon muss die Diskussion darüber, wie Staat und Zivilgesellschaft wirksam gegen Rassismus und fremdenfeindliche Diskriminierung vorgehen und antirassistische Präventionsarbeit betreiben können, weiter geführt werden.

Durch die Wahl des GIBZ als Veranstaltungsort wurden bewusst BerufsschülerInnen und die SchülerInnen der nahe gelegenen Kantonsschule angesprochen. Im Vorfeld der Diskussionsplattform führte das Integrationsnetz am 7.12.2004 im Geschichtsunterricht der Klasse 4q der Handelsmaturitätsschule einen und bei zwei Klassen der berufsbegleitenden Berufsmaturitätsschule im GIBZ je eine Lektion mit Referat, Power-Point-Präsentation und anschliessender Diskussion durch. Die insgesamt rund 50 SchülerInnen und Lehrpersonen besuchten anschliessend die eine Woche später stattfindende Diskussionsveranstaltung.

Motivation und Ziel der Veranstaltung

Die Rassismus-Strafnorm im Schweizerischen Strafgesetzbuch (Art. 261bis) und im Militärstrafrecht (Art. 171c) wurde am 25. September 1994 nach einer emotionsgeladenen Abstimmungskampagne angenommen und trat per 1. Januar 1995 in Kraft. Sie wurde eingeführt, um den nach 1989 international zunehmenden rechtsextremen und antisemitischen Strömungen sowie den fremdenfeindlichen Attacken gegen Asylsuchende Einhalt zu gebieten. Die neuen Gesetzesbestimmungen ermöglichten auch die Bildung der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus sowie von zahlreichen Pendants auf kantonaler Ebene und damit erstmals eine staatliche Antirassismus-Politik. Von 1995 bis Ende 2002 kam es zu 95 erstinstanzlichen Verurteilungen wegen Verstössen gegen das neue Gesetz. Unter den Verurteilten finden sich so verschiedene Personen wie der notorische Holocaust-Leugner und Rechtsextremist Jürgen Graf, aber auch ein afrikanischer Asylbewerber, der wegen seines Schimpfens auf die ›Scheissschweizer‹ in Konflikt mit dem Gesetz geraten war.

Eine Mehrheit der Zeitgenossen quer durchs politische Parteienspektrum ist sich einig, dass das Antirassismus-Gesetz nicht zu einem Maulkorb für die Meinungsfreiheit führte. Trotzdem steht der behördliche Antirassismus an seinem 10. Geburtstag im Mittelpunkt heftiger Debatten: Die Schweizerische Volkspartei stellte die Rassismus-Strafnorm bereits anlässlich der Urteile des Bundesgerichts gegen diskriminierende Einbürgerungspraktiken im Jahr 2000 zur Disposition. Im Jahr 2004 erneuerte die SVP ihre Forderung nach einer Überprüfung, Änderung oder gar Abschaffung des Gesetzes. Denn sie wertet die aktuelle Rechtssprechungspraxis des Bundesgerichts, welche ›privaten‹ Neonazi- und Skinhead-Treffen mit politischen Vorträgen den privaten Charakter abspricht, als Eingriff in die Privatsphäre. Aber auch andere AkteurInnen ziehen nach 10 Jahren staatlichem Antirassismus eine durchzogene Bilanz: Aus liberaler Sicht stellt sich die Frage nach wie vor, ob Eingriffe in die Meinungsfreiheit gerechtfertigt sind oder ob statt der Verbote nicht die ›Kraft der besseren Argumente‹ überzeugen sollte. Durchzogen fällt jedoch auch die Bilanz des mit dem behördlichen Antirassismus Erreichten aus. So liesse sich fragen: Sind die Rechtsextremen nicht einfach ein bisschen gemässigter geworden, dadurch aber auch gefährlicher? In diese Richtung deutet zum Beispiel das Agieren der rechtsextremen Partei National Orientierter Schweizer (PNOS), die seit 2003 regelmässig an Wahlen teilnimmt, unter anderem mit dem expliziten Ziel, den Antirassismus aus dem Gesetzeskanon zu kippen. Was aufgeklärten ZeitgenossInnen noch mehr zu denken gibt, ist eine seit einigen Jahren feststellbare Tendenz der Verrohung des öffentlichen Diskurses über ›Ausländer‹, ›Asylbewerber‹ und auch über ›Muslime‹, wie die Abstimmungskampagne gegen die beiden Einbürgerungsvorlagen im Sommer 2004 zeigte.

Zu fragen ist auch, inwiefern der staatliche Antirassismus bei den verschiedenen, nicht-schweizerischen ethnischen Gruppen in der Schweiz rezipiert wurde. Oder ob nationalistisch-extremistisch-rassistische Tendenzen unter MigrantInnen zu lange ignoriert worden sind. Eine breit und kontrovers geführte öffentliche Diskussion zu diesem Thema sollte den Informationsstand des Zielpublikums verbessern und es punkto Antirassismus sensibilisieren. Schliesslich sollte der Bedeutung von solch zentralen, in Gesetzen und Verfassung verankerten öffentlichen Gütern wie Antirassismus, Kampf gegen Antisemitismus sowie allgemein dem Diskriminierungsverbot von Minderheiten in einer Zeit zunehmender Infragestellung von menschenrechtlichen Verfassungsgrundsätzen Nachdruck verliehen werden.

Flyer (PDF)
Gesetzestext Rassismus-Strafnorm (PDF)
Bundesgerichtsurteil gegen Jürg Scherrer, 13.11.2004
›Vor Gericht der Islam‹, in: Das Magazin, 28.08.2004
›Antirassismus-Artikel als Waffe unter politisch Korrekten‹, in: NZZ am Sonntag, 17.10.2004

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